Eine Boyband im White Cube

Project Boyband: Chic ist kritisch und reflektiert und hat ausserdem alles was eine Boyband braucht: Sexy Synthesizer-Sounds, sexy Band-Merch, eine sexy Performance und gut aussehen tun sie auch. Aber Chic ist gefangen im White Cube. Ein weiteres Kapitel auf meinem Weg zur Versöhnung mit dem Konzept Boyband. Dieses Mal: Dekonstruktion.

Chic stellt sich selbst im White Cube aus: An der weissen Wand des Lokal-Int in Biel hängen drei Frottiertücher, 100 mal 150 Zentimeter, Hochformat. Auf jedem der drei Tücher jeweils einer der Boys, Heiligenbildern gleich: Ein Triptychon. Es ist die Fineart-Edition für 500.- Franken, die Merchart-Edition gibt es für 40.- Franken, das sind Tücher, auf denen alle drei Boys abgebildet sind, 70 mal 150 Zentimeter. Sie liegen schön gefaltet auf einem weissen Sockel. Man kann die Boys mit nachhause nehmen, sie an sich schmiegen im eigenen Badezimmer, sich auf sie legen im Sommer an der Aare. Auf einem zweiten Sockel steht ein Laptop und auf einem dritten ein Beamer. Das Boyband Projekt Chic stellt sich selbst im Whitecube aus, alles auf den Sockel und in den Dienst der Kunst gestellt: Den Bandmerch, das Musikvideo, die Bühnenperformance.

«Ganz Biel isch hie», flüstert einer der Boys auf Autotune ins Mikrophon. Es ist der Beginn einer Performance mit sakralen Momenten, ein gut gespieltes Überspitzen des Boyband-Kults. Die Performance ist eine Freude, sie ist ein Imitat und kulturelle Aneignung, aber von der eigenen Popkultur, die selbst für sich kulturelle Aneignung betreibt. Der Dancehall-Hit «Lady» zum Beispiel ist eine Imitation der Imitation, eine Aneignung der Aneignung. Auch «Cabriolet» ist ein Imitat: Autotune, Capri Sonne, Trap-Romantik. Und «Isotonisch» handelt von unerwiderter Liebe, Körperkult und Männlichkeiten. Im dazugehörenden Video ist Chic in oberflächlicher Ästhetik pure Männlichkeit, so soft, wie ein Frottiertuch, frischgewaschen mit etwas zu viel Weichspüler. Die Boyband: Sie ist der letzte geschützte Raum, wo Mann noch weich sein darf, wo Fragilität nicht toxisch, sondern Image ist. Wo Boys weinen dürfen. Und seien es nur blaue Tränen eines isotonischen Getränks. Und wo homoerotische Gesten auf heteronormative Narrative treffen, ohne dass dies als Widerspruch auffiele.

Jeder einzelne Chic-Hit ist eine Beleidung für alle Boybands, eine Beleidigung für Jeans for Jesus, Lo und Leduc, für One-Boy-Brand Yung Hurn, für Bilderbuch. Und das ist gut so, denn es ist die Dekonstruktion eines popkulturellen Selbstläufers, der sich speist aus Fankult und Massenmedialität. Aber Chic dekonstruiert nicht nur sämtliche Boybands, sondern gleich auch sich selbst. Chic ist nicht Pop, Chic imitiert Pop und eignet ihn sich an, stellt ihn im White Cube aus, schreibt Dossiers, setzt Werktitel und erklärt sich selbst in einer akademischen Sprache und auf der Metaebene. Die Boyband steht in ständiger diskursiver Distanz zur eigenen Inszenierung und nie verlieren sich die Künstler ganz in ihrer Rolle.

Am Ende ist auch das eine Form der Aneignung: Der White Cube als Raum der Gebildeten und Reflektierten imitiert Mechanismen der breiten Masse und während die Popkultur den Mittelfinger zeigt, zeigt uns Chic den mahnenden Zeigefinger: Reflektiere das System, reflektiere den Fankult, reflektiere die Männlichkeit. Man wünschte sich, sie würden etwas mehr zu dem, was sie darstellen, der Realness zuliebe. Man wünschte sich, Chic würde den White Cube verlassen und Shows auf Bühnen spielen anstatt Performances in Off-Spaces. Man wünschte sich, Chic würde Männlichkeiten, Personen- und Körperkult aus der Popkultur selbst und nicht aus dem White Cube heraus thematisieren, dem Bruch mit normativen Bildern und Konzepten zuliebe. Vielleicht in etwa so, wie es die beiden Basler Boys von Amixs tun: