G20 und die Gegenwehr – das ist Hamburger Stadtgeschichte. Mit der Deutung und Verarbeitung der Ereignisse hat der linke Aktivismus bis heute zu kämpfen. Auch in Bern, wo am Samstag im Dachstock der Sammelband «Das war der Gipfel» vorgestellt wurde.
Frühlingserwachen bei zwanzig Grad, Samstag 17 Uhr – ein schwieriger Termin für eine Lesung. Und so haben sich auch nur knapp zwanzig Interessierte eingefunden im Dachgebälk der Reitschule, der grosse Störenfried ist der Müssiggang. Aber alles friedlich.
Herausgeber*innen und Zugewandte lesen Texte aus dem Buch. Es erzählt die Ereignisse um G20 durchgehend aus der Eigenperspektive jenes vielfältig organisierten Protestpluralismus› im Sommer 2017. Das ist wichtig: Die historische Erinnerung daran schien an der Logik der bürgerlichen Medienhäuser zu zerstäuben – und wo sich der Staub legte, da blieben die verkäuflichen Bilder: Von Chaos, Krawall und Extremismus und vis-à-vis einer Polizei im Dienst der heiligen Demokratie.
Dem etwas entgegensetzen. Die Texte bieten einen sorgfältig aufgearbeiteten Blick über die bunte und laute Gegenöffentlichkeit hinter der Medienfassade. Manche davon in sachlichem Ton, viele flammend, einige poetisch. Hier kommt eine Vielzahl von Stimmen, Tonalitäten und linken Initiativen zusammen. Es geht um Deutungshoheit und Selbstermächtigung – aber nicht um jeden Preis: Auf eine Zwangsheirat dieser zuweilen uneinigen Perspektiven auf die Proteste wird von den Herausgeber*innen bewusst verzichtet. Dann lieber Collage, Dialog, Graustufen, Fragezeichen.
Die Anwendung von Gewalt bleibt eine Bruchlinie innerhalb der linken Diskurse. Das wird auch nach dieser stimmig inszenierten Lesung wieder klar: Die samstägliche Gemeinschaft sitzt sich zur Diskussion gegenüber. Traumabewältigung für einige, die dabei waren. Und Schärfung der Frage «was geht» oder «was muss» im politischen Dissens, der nicht nur von Gewalt und Gegengewalt geprägt, sondern auch tanzend vorgetragen werden kann. Über das Mittelmeer Geflüchtete einbeziehen muss. Und Vorschläge parat hat für eine Stadt der Zukunft.
Und so stehen wir letztlich vor der Frage der Inklusion, selbstredend in einer Gruppe von zwar in Detailfragen gerne uneinigen, doch schwesterlich Verbrüderten. Preaching to the converted. Aber dieses Buch will auch nach aussen sprechen. Zu den vielen, die an diesem frühen Samstagabend vielleicht zum ersten mal an der Aare sitzen, zu den vielen, die nicht nach Hamburg gefahren sind im Sommer 2017. Es ist dieser gescheiten Publikation zu wünschen, dass sie den Weg aus den linken Schutzräumen hinausfindet in die Besprechungen der grossen Zeitungen. Denn nur so kann es seine so berechtigten Fragen nach der bald historischen Deutung dieser Proteste an die Macht herantragen
Die Chronik «Das war der Gipfel – Die Proteste gegen G20 in Hamburg» (Verlag Assoziation A) ist in Bern bei der Buchhandlung Klamauk erhältlich.