Von alten Zöpfen und junger Kunst

Basel hat keine Stadtgalerie. Zürich auch nicht. Was die anderen Schweizer Städte angeht, bin ich nicht so sicher, aber ich glaube fast, ein institutioneller Kunstraum, der sich um das junge lokale Schaffen kümmert: Das findet sich sonst nirgends. Beneidet man andernorts Bern um diese drei Räume im Progr, um dieses Probelokal, eine Art Museum für Neulinge? Ein wenig vielleicht, mag sein. Aber ganz ehrlich, ich hab sonstwo noch nie jemanden sagen hören: «Wenn wir doch auch eine Stadtgalerie hätten.» In den 1960ern und 70ern gab es etwas ähnliches in Zürich, im Strauhof, aber inzwischen ist die Idee ein wenig aus der Zeit gefallen, hat man das Gefühl. Und nun also auch aus der Budgetplanung des Gemeinderats, in diesen peculiären, pekuniären, prekären Zeiten.

«Geht wirklich gar nicht», las man auf Facebook erwartungsgemäss. Und was das bloss für ein Zeichen sei, gerade jetzt. Das stimmt allerdings, der Subtext ist ziemlich unverschämt. Man merke: Kulturpolitik ist Schönwetterpolitik. Wenn es wirklich kriselt, zeigt die Poltik ihr wahres Scheissegal-Gesicht. Same procedure as every few years. Wundern sollte das nicht, ärgern sollte es schon. Immer und immer wieder. Systemrelevanz my ass.

Die Stadtgalerie-Sparaktion bietet allerschönstes Anschauungsmaterial: Wie man auf elegante Weise einen Kulturbudgetposten wegspart. Es folgt also eine kleine Gebrauchsanleitung für geduldige Sparpolitikerinnen und -politiker, in fünf Schritten:

1. Man halte Ausschau nach spannenden kulturellen Initiativen, die mit viel Herzblut und (unbezahltem) Engagement der Beteiligten zum Blühen kommen. Da engagiere man sich, allmählich auch substantiell, was das Budget betrifft.

2. Man übernehme nicht nur finanzielle Verantwortung, sondern beginne auch sonst immer mehr mitzureden. Man hole die Initiative aus der Nische und mache sie allmählich zu einem Renommierprojekt.

3. Man argumentiere den anderen Akteuren gegenüber, die ähnliche Ideen verfolgen: Es gebe ja nun diese Institution, die binde notabene viel Mittel, aber übernehme auch eine entsprechend wichtige kulturpolitische Rolle. Das Budget für freie Initiativen kann man entsprechend minim halten.

4. Man sorge dafür, dass der Betrieb der Institution immer stärker gelähmt wird, durch bürokratisches Kleinklein und sonstige Störmanöver. Insbesondere sorge man dafür, dass der Webauftritt auf Behördenlinie und möglichst unattraktiv daherkommt. So mache man die Institution zu einem eher geduldeten als geliebten Kind, auch innerhalb der Family. Man lasse alles ein wenig langweilig werden und biete wenig Orientierungshilfe, wenn es um Fragen der Positionierung geht, regional/national/international. Allmählich wird man sehen, wie es zu Verkrustungen kommt.

5. Man warte auf die passende Krise und schlage vor, sich vom Sorgenkind zu trennen, weil die Luft irgendwie raus sei und Aufwand und Ertrag sich nicht die Waage hielten. Der Aufschrei wird nicht allzu laut werden, die Lobby wird eher verzettelt agieren. Badeanstalten zum Beispiel mobilisieren da viel besser, wird man sehen.

Den Skandal muss man insofern anders formulieren: Es wird nun nicht einfach ein Kunstraum geschlossen in Bern, es wird das Budget für junge Kunstinitiativen fast komplett weggestrichen. Andere Städte sprechen jedes Jahr substantielle Beträge für eine Reihe von Off-Spaces und ähnlicher Initiativen. An diesen Budgets zu kratzen, wäre offensichtlich ungehörig, gerade momentan. In Bern gab es vor ein paar Jahren übrigens mal einen Frontalangriff auf die Stadtgalerie aus der Off-Szene selbst. Man wollte selber über das Geld verfügen können, das da Jahr für Jahr in einen eher schwerfälligen Apparat gesteckt wurde. Es hätte zur Rettungsaktion für das Kunstgeld in Bern werden können, aber die Szene agierte zu diffus, Hickhack statt Zusammenstehen. Also weiter Stadtgalerie und ferner liefen: ein paar kleine Räume daneben. Man könnte es Klumpenrisiko nennen, wäre der Begriff nicht kontaminiert. Dem Sparteufel ist es einerlei, er grinst am besten, weil immer als letzter. Oder um es mit Les Ritas Mitsouko zu sagen: «Les histoires d’A finissent mal, en général.» Also, noch einmal zum Mitschreiben: Braucht Bern eine Stadtgalerie? Kann man diskutieren (die Diskussion darüber ist fast so alt wie die Stadtgalerie selbst, übrigens, mindestens fünfzig Jahre). Braucht die Berner Kunst das Geld, das in die Stadtgalerie fliesst? So dringend wie nie.

Bildrecht bei Miriam Sturzenegger, aus der Ausstellung: «RENOVIEREN RENOVATING», 2015, Stadtgalerie Bern.